Endlich mal wieder Berge! Und Wasser. In Farben, für die es keine Worte gibt. Die slowenischen Abschnitte des Alpe-Adria-Trails verzaubern mich vom ersten Moment an. Fels und Schnee, Wälder und Frühsommerwiesen, kleine Dörfer und über Tage die tieftürkisfarbene Soča neben mir – ich möchte keinen der insgesamt 160.398 Schritte dieser fünftägigen Wanderung missen!
Als ich diesmal meinen Rucksack packe, bin ich doch ein kleines bisschen aufgeregt. Weil ich zum ersten Mal zu einer Alleinewanderung in den Bergen aufbreche. Und weil ich mich so unglaublich darauf freue, nach langer Zeit mal wieder ein paar Tage in dieser mächtigen Kulisse der Alpen zu verbringen. Als ich am Morgen in Österreich aus dem Zugfenster schaue und die ersten Steinriesen erblicke, beginnt mein kleines Herz merklich zu hüpfen. Tausend Gedanken gehen mir durch den Kopf. Gleichzeitig möchte ich nur eines: loslaufen.
Gegen Mittag steige ich bei Kranjska Gora aus dem Taxi. Vor mir: der Eingang zum Triglav Nationalpark. Mein nett-fürsorglicher Taxifahrer Oliver verabschiedet mich mit den Worten: “Falls irgendetwas sein sollte unterwegs, ruf an!” Was für ein Willkommen in diesem Land, das mich von nun an täglich begeistern wird! Ich hoffe nicht, dass ich auf die Notfalltaxihilfe zurückgreifen muss. Dennoch: es ist ein gutes Backup, mit dem ich losgehe.
(DANKE, Oliver, für diesen tollen Start in Deinem Land!)
Schon auf den ersten Metern eröffnet sich mir eine Kulisse, von der man nur denken kann: besser kann es nicht werden. Flussplätschern, kalkweißer Stein, dunkelgrüne Tannen- und frische Blattspitzen und dahinter das erste Bergmassiv der Julischen Alpen. Ich zweifle keinen Moment daran, dass diese Wahl des Trails eine gute war.
Die Begeisterung bleibt, das Gefühl der guten Wahl auch. Als ich am fünften Tag absteige, hinunter nach Tolmin, gehe ich auf die letzten Meter sehr langsam. Ich will nicht, dass es zu Ende geht. Der Kopf ist voller Bilder, Gerüche, Momentaufnahmen. Die Beine haben sich an das Auf und Ab gewöhnt. Die Gedanken sind weit weg von allem, was an Alltag erinnert. Es geht mir gut.
Und nun freue ich mich darauf, fünf Tage Alpe-Adria-Trail zwischen Kranjska Gora und Tolmin beim Schreiben ein zweites Mal zu “erleben” und die Erlebnisse mit Euch zu teilen!
Das findest Du in diesem Beitrag:
• Etappe 1: Kranjska Gora >> Erjavčeva koča
• Etappe 2: Erjavčeva koča >> Camp Korita
• Etappe 3: Camp Korita >> Bovec
• Etappe 4: Bovec >> Drežnica
• Etappe 5: Drežnica >> Tolmin
• Fazit
• Rund um den AAT
Etappe 1:
Kranjska Gora (Brücke Pišnica) >> Erjavčeva koča
9 km inkl. Abendrunde an der Hütte || 725 hm ↥
Übernachtung: Erjavčeva koča (EZ, Gemeinschaftsbad, Abendessen, Frühstück)
Es ist zwölf Uhr mittags, als ich mir die erste Runde Sonnencreme ins Gesicht schmiere, meinen Wasservorrat umfülle und an der Brücke des Flusses Pišnica auf den Alpe-Adria-Trail einbiege. Dass ich hier und nicht direkt in Kranjska Gora starte, habe ich meinem Taxifahrer zu verdanken: das Stück an der Straße entlang sei doch nicht schön zu gehen. “Ich fahre Dich einfach ein Stück weiter, wenn Du magst. Dann sparst Du Dir etwa eine halbe Stunde.” Ich überlege kurz, ob es an meiner Ehre kratzt, “abzukürzen”. Ich verwerfe den Gedanken, denn: ich werde schon noch gut zu laufen haben die kommenden Tage. Und hey – Asphalt kann ich auch zuhause haben! 😉
Mein Weg folgt dem Fluss, bis zu einer Ebene, auf der sich das ganze Bergpanorama um mich herum öffnet. An einer Gedenkstätte für im Gebirge Verunglückte halte ich kurz inne.
Dann geht es bergauf: insgesamt rund 725 Höhenmeter sollen es heute werden. Hinauf auf 1.525 Meter Höhe. Wenn man bedenkt, dass ich mich vor weniger als 24 Stunden noch auf plus/minus null Metern “Höhe” bewegte, ist das doch ganz schön viel. Ich bin froh, dass ich mich im Vorweg dazu entschieden habe, am ersten Tag nur aufzusteigen und kann rückblickend sagen: auch bei Wärme und mit dem dicken Rucksack auf dem Rücken ist der Weg hoch zur Erjavčeva-Hütte gut machbar.
Unterwegs komme ich an der “Russischen Kapelle” vorbei. Sie wurde zum Gedenken russischer Kriegsgefangener errichtet, die im Ersten Weltkrieg während des Baus der Passstraße bei einem Lawinenunglück ums Leben gekommen waren.
Ein paar Mal kreuzt der Wanderweg die Passstraße, die ein beliebtes Ziel für Motorradfahrer ist. Etwas größere Aufmerksamkeit erfordert das Wegfinden nur kurz vor Erreichen der Erjavčeva koča, in der Kurve mit den markanten Steinmännchen. Hier führt der Pfad etwas versteckt wieder in den Wald hinein.
(!) Hier also im Zweifel einen Augenblick suchen, aber nicht die Geröllscharte hinaufgehen! (Ich erwähne es, weil ich selbst eine ganze Weile den Weg gesucht habe, und später erfuhr, dass es anderen Wanderern ähnlich ging und sich immer wieder Leute in Gefahr begeben, wenn sie das Geröll hochkraxeln. Was im Übrigen auch nicht ans Ziel führt, sondern lediglich dazu, dass man auch wieder runter muss. Lasst das bitte unbedingt!)
An der Lage der Erjavčeva koča kann man gut erahnen, dass diese ein klassisches Ausflugsziel ist. Ich bin mit solchen Orten grundsätzlich skeptisch, mag abgelegenere Hütten. Doch: ich werde positiv überrascht. Statt dem erwarteten Bett im Matratzenlager bekomme ich ein eigenes kleines Zimmer, mit Bettzeug – und Blick auf das bekannte “heidnische Mädchen” im Fels gegenüber:
Wir sind an diesem Abend nur drei Gäste, bekommen eine Riesenportion leckeren Eintopf zum Abendessen und ein mindestens vergleichbar großes Stück Apfelstrudel zum Nachtisch. Mit Hüttenwirtin Tanja komme ich ins Plaudern: ob vegetarisch, vegan oder glutenfrei – hier ist man auf nahezu alles eingestellt. Das finde ich beachtlich für eine Hütte in solcher Lage.
(DANKE, liebe Tanja, für Deine Gastfreundschaft, die nette Unterhaltung am Morgen und das tolle Lunchpaket!)
Ich genieße es, hier oben zu sein. Genieße meine abendliche Entdeckungsrunde um die Hütte – und freue mich darauf, mich morgen gewiss früh von den in mein Zimmer blinzelnden Sonnenstrahlen wecken zu lassen.
Etappe 2:
Erjavčeva koča >> Camp Korita
24 km | 500 hm ↥ || 1.200 hm ↧
Übernachtung: Camp Korita (kleine Holzhütte, Gemeinschaftsbad)
Heute Abend möchte ich im Camp Korita sein. Hier habe ich eine kleine Holzhütte gebucht; wohl wissend, dass der Tag ein langer werden wird. Wie die Sonne über den Bergrücken steigt, gehe ich los. Mit Blick zurück auf mein Quartier der ersten Nacht.
Das Schild, das meinen Weiterweg weist, liegt am Boden. Wer unschlüssig ist: es geht nahezu geradeaus weiter, wenn man an den Aufstieg vom Vortag anknüpft. Die Hütte liegt links, der Pass und der Parkplatz rechterhand. Der Pfad, der an der Wiese vorbei in Richtung Bäume und “hoch” führt, ist der richtige.
Zur Orientierung dienen auch die rot-weißen Markierungen (Bild) und die Ausschilderung der nächsten Hütten. Ich habe dazu grundsätzlich eine Karte in vernünftigem Maßstab dabei sowie dieses Mal die Beschreibungen der relevanten Tagesetappen aus dem Rother Wanderführer in Kopie.
Auf dem Weg nach oben komme ich an Schneefeldresten vorbei. Das Grün an den Bäumen wirkt noch sehr frühlingsfrisch. Ich denke: das ist nun mein dritter Frühling in diesem Jahr. (Den ersten erlebte ich auf der Rota Vicentina in Portugal, den zweiten zuhause in Nordfriesland und nun geht es noch einmal etwas zurück in der jahreszeitlichen Entwicklung der Vegetation.)
Am höchsten Punkt der heutigen Etappe und an einem nicht zu übersehenden Bunkerrelikt aus dem Ersten Weltkrieg gabelt sich der Weg. Ich gehe für einen Abstecher nach rechts, um einen Blick auf die Hütte Poštarski dom na Vršiču zu werfen. Diese hat noch geschlossen, öffnet, wie ich später erfahre, am 15. Juni. (Mit ihrer Lage ist diese Hütte definitiv auch als Übernachtungsstopp zu empfehlen und auch an einem Ankunfts- und damit halben Wandertag zu erreichen. Ein kleines Stück weiter unten liegt noch Tičarjev dom na Vrsiču, die auf meiner Tour auch schon seit Anfang Juni geöffnet war.)
Der rund 1.200 Höhenmeter-Abstieg beginnt an der Gabelung in Richtung Vršič. Immer wieder folgt man unterwegs abschnittweise lokalen Wanderrouten. Um hier nicht verwirrt zu sein, lohnt das Vertrautmachen mit dem Weg und markanten Wegpunkten auf der Karte.
Lachen muss ich, als ich für ein Stück auf die Teerstraße des Vršič-Passes einbiege. Der Anblick: Schafe. Fast wie zuhause in Nordfriesland! (Bloß ohne Deich.)
Der Weg hinunter ins Soča-Tal führt überwiegend durch Wald. Über Steine und Wurzelwerk fordert das Abwärtsgehen etwas Konzentration. Doch es gibt immer wieder Anlass, um kurz auf Details der Natur, veränderte Landschaftsbilder oder weitere Relikte vergangener Zeiten zu blicken:
Unten angekommen, stehe ich direkt auf dem Parkplatz, von dem aus es zum Ursprung der Soča geht. Ein Muss, wo ich an ihr doch fortan entlang wandern werde! Es ist ein bisschen Kraxelei, mit dem blauen Monster auf dem Rücken, aber auch ein angemessener Start für den Abschnitt, der mich – nachdem ich mir noch ein Zwischendurchbelohnungseis gegönnt habe – nun auf dem Soška Pot, dem Soča-Weg weiterführen wird.
Der Soška Pot ist ein 25 Kilometer langer Wanderpfad zwischen dem Ursprung des Flusses und dem Ort Bovec. In beeindruckender Kulisse kann man hier auch auf Tagestouren und in einfach zu gehendem Gelände das Soča-Tal erleben. Typisch: die vielen Hängebrücken, von denen man auf dem AAT etliche überquert.
Wer nun ob der Wasserfarbe zweifelt: die ist wirklich so. Ich bin fasziniert und könnte alle paar Meter anhalten, um eine neue Licht-Farben-Stimmung mit der Kamera einzufangen. Ständig gibt es etwas Neues zu entdecken und dieses Spiel der Farben ist einfach nur wunderschön:
Gegen Spätnachmittag allerdings packe ich die Kamera weg und gehe deutlich schneller: über mir beginnt es zu grummeln; ich erkenne zwei Wolkenformationen, in denen Gewitter stecken könnten. Die eine zieht quer vor mir, die andere rollt aus dem mittlerweile schon ein Stück durchwanderten Tal her auf. Ich atme auf und durch, als ich nach rund eineinhalb Stunden an der Grenze zum Laufschritt Camp Korita erreiche. Erstaunlich, welche Kräfte ein Körper mobilisieren kann, wenn er in unbequeme Situationen gerät!
Die Holzhütte Nummer zwei ist meine für heute Nacht. Schlicht, einfach und doch besonders. Ich werde gut schlafen, so halb an der frischen Luft. Und kann das Camp mit seiner halboffenen Küche auf dem Platz, hübsch-komfortablen Sanitäranlagen und den Hütten, die es in verschiedenen Kategorien gibt, nur empfehlen. (Nicht zu vergessen: der Kräutergarten! 🙂 )
Etappe 3:
Camp Korita >> Bovec
20 km inkl. Abendrunde im Ort || 250 hm ↥
Übernachtung: Gostilna Martinov hram (EZ, eigenes Bad, Frühstück)
Heute liegt eine vergleichsweise kurze Etappe vor mir. Ich starte langsam in den Tag, orientiere mich bzgl. Unterkunftsmöglichkeiten in Bovec und gönne mir noch einen zweiten Becher Kaffee – mit Blick auf die Berge. Ehe ich losgehe und gleich hinterm Camp die erste Hängebrücke für heute und ein im typischen Bovec-Trenta-Stil erbautes Haus passiere.
Den ganzen Tag lang wird es mal direkt, mal mit etwas größerem Abstand an der Soča entlang gehen. Ich bekomme nicht genug von diesem Wasser in Tieftürkis, den so unterschiedlichen Felsformationen und kleinen Naturwunderwerken.
Als ich zu den Soča-Schluchten komme, überkommt mich die nächste Stufe an Faszination. Wie kann eine Formation aus Fels und Wasser nur so irre aussehen? Verständlich, dass dieser Abschnitt in wohl jedem Reiseführer über Slowenien – oder zumindest über das Soča-Tal – Erwähnung findet. Jedenfalls ist die Ansammlung an Gästen aus aller Herren Länder hier recht groß. Ich nutze die Chance auf ein Photo von mir und erlebe eine dieser unerwartet netten Situationen: eine gute halbe Stunde unterhalte ich mich mit einem Paar, etwa im Alter meiner Eltern. Aus der Nähe von Stuttgart sind sie (Heimatdialekt), im Wohnmobil unterwegs und recht interessiert daran, zu erfahren, wie es so ist, alleine zu wandern. So sehr ich die Ruhe und den eigenen Rhythmus auf Solotouren schätze: es sind kleine Begegnungen wie diese, die den Unternehmungen einen Extrawert hinzufügen.
Über Wiesen und immer wieder durch kleinere Waldabschnitte führt mein Weg zu den ersten Einsatzstellen, an denen Wildwasserkanuten ihre Abenteuer starten. Wenngleich ich selbst voll und ganz in der Kategorie Seekajak zuhause bin, bin ich fasziniert: die Kombination aus Kopf (Lesen des Wassers) und Umsetzen in Bewegung ist schon beeindruckend. Ich bleibe immer mal wieder stehen und schaue zu. So lange, bis ein bis dato völlig fremder Gedanke in mir erwächst: ich glaube, ich möchte das doch einmal ausprobieren. Ganz sanft und vorsichtig. Einfach mal schnuppern…
Kurz vor meinem Tagesziel Bovec sinkt meine Laune: ich quere noch einmal die Soča, gehe einen kleinen, aber steilen Anstieg hinauf – und im Kreis gleich wieder hinunter, weil die gute Beschilderung, die den Weg bis hierher kennzeichnete und die ich auch ab der Folgeetappe wieder bestätigen kann, entweder hier wirklich nicht vorhanden ist – oder weil ich einfach zu schusselig bin, um sie zu finden. Ich schlage mich schließlich hoch bis zum Ort Kal-Koritnica. Vereinzelte Schilder weisen mit unterschiedlichen Markierungen in unterschiedliche Richtungen. Vom AAT keine Spur. Ganz richtig kann das nicht sein.
Ich finde mich mit meinem Fehler ab und auch damit, ein Stück an der Straße entlang zu gehen. Serpentinen. LKWs. Motorräder. Nicht wirklich gemütlich. Was für ein Glück, als ein gelbes Schild lokaler Routen dann vom Asphalt weg durch einen Wald weist! Ich sehe es positiv: so komme ich an einem weiteren Zeugen der Vergangenheit, dem öffentlich zugänglichen Freilichtmuseum von Ravelnik, vorbei und laufe eben statt über den AAT auf dem Friedensweg in Bovec ein.
Ursprünglich wollte ich hier im Hostel Soča Rocks nächtigen. Doch mir ist heute nach Einzelzimmer, deshalb fällt die spontane Wahl auf den oben genannten Gasthof. Ich spaziere später am Abend noch am Hostel vorbei und mein Eindruck sagt: es sieht extrem sympathisch aus. Also: merken! (In Bovec treffen Fels- und Wasserenthusiasten aufeinander. Eine fröhlich-aktive Mischung in einem Ort, der mir ansonsten irgendwie fremd bleibt.)
Ich beschließe den Tag auf meine Art, mit einem kleinen Bummel durch das Städtchen und Besuch der sonst menschenleeren und kühlen Kirche. Da ich morgen früh los möchte, wandle ich mein Frühstück (das gibt es “erst” ab acht Uhr) noch in ein Lunchpaket um – und bleibe auch kulinarisch im Flussthema: es gibt Soča-Forelle und ein Glas Weißwein. Ich bin versöhnt mit dem Tag und meiner kleinen Streckenabweichung auf die letzten Meter.
Etappe 4:
Bovec >> Drežnica
24 km inkl. kleiner Abendrunde im Ort || 550 hm ↥ || 600 hm ↧
Übernachtung: Sobe Pri Lovrizu (EZ, eigenes Bad, Frühstück)
Nun also schlägt er zu, der Muskelkater. Waden, Schienbeine und Oberschenkel wollen heute den Aufstand proben. Ich stakse ins Bad, froh, dass keiner zusieht. Der Abstieg durchs Treppenhaus ist auch nicht lustig. Aber: schnell ruckelt sich das alles zurecht und nach wenigen Metern bin ich wieder im Rhythmus. (Naja, klar, ganz los bin ich die Geister nicht. Aber ich kann laufen. 😉 )
Der Wanderführer besagt, dass die reine Gehzeit heute 7,5 Stunden betragen soll. Es ist also gut, dass ich früh starte.
(!) In Bovec geht es der Hauptstraße entlang los. Dann aufpassen: der Wegweiser für den AAT in Richtung Drežnica ist Teil eines kleinen Schilderwaldes rechts der Straße.
An bunten Gärten vorbei geht es hinaus aus dem Ort. Ein Schuljunge grüßt mich freundlich. Während die Schafe am Wegesrand noch im morgendlichen Kuschelmodus sind.
Im Wald hinter Bovec frage ich mich, wie das hier sein mag, wenn es viel regnet: der Weg ist matschig. In schon früh drückender Schwüle gehe ich bergauf. Als Frühstücksplatz wähle ich den kleinen Schlenker über den Wasserfall Slap Virje. Auch wenn das ein paar Minuten bergab und zurück dann bergauf extra sind: macht den Abstecher!
Während die Ausschilderung der Parkmöglichkeiten oberhalb des Wasserfalls erahnen lassen, wie beliebt der Ort ist, habe ich diese Traumkulisse so zeitig am Tag absolut für mich.
Einen Tipp muss ich Euch unbedingt mit auf den Weg geben: der AAT führt zwischen Bovec und Zaga mitten durch ein Camp. Ich recherchiere am Abend, worum es sich handelt: Adrenaline-Check Eco Place ist ein Camp mit Hütten und Zelten in unterschiedlichen Kategorien. Ein Camp, wo sich Kletterer und Mountainbiker, Wildwasserfans und Naturliebhaber treffen. In, wie mir scheint, entspannter Atmosphäre. Wer seine Etappen also etwas anders plant und auf der Höhe eine Übernachtung sucht…
Den Wasserfall Slap Boka betrachte ich nur mit Abstand von unten. Es ist noch ein ganzes Stück zu gehen heute. Ich lasse diesen Abstecher aus. (Entscheidungen gehören eben auch beim Wandern zum Alltag. Und da ich meinem leicht lädierten Körperchen heute nicht so ganz traue…)
Was mir heute besonders auffällt, sind die vielen kleinen Hütten, die, teilweise recht verfallen, in Wäldern und auch an Almhängen stehen. Immer wieder auch nur Restmauern, zum Teil in sattem Grün von der Natur zurückerobert. Dazwischen Konstruktionen, bei denen man einfach einen Moment stehen bleiben muss (Wohnwagen unten rechts).
Eine kleine Kaffeepause mache ich im Camp Trnovo, an dem Abschnitt der Soča, der für die WM-Slalomstrecke im Wildwasserfahren bekannt ist. (Das Camp vermietet auch Holzhütten, ist also auch eine Übernachtungsoption für all diejenigen von uns, die nicht mit eigenem Zelt wandern.)
Ich komme an einer kleinen Grotte vorbei, an einem Spielplatz im Nichts und Massen an Holz – und Baumstümpfen. Mein Bastel- und Dekoherz hüpft schon höher. Doch: halt – ich bin ja nur mit dem Rucksack unterwegs.
In mein Blickfeld rückt der Turm der markanten Kirche von Drežnica. Mein Tagesziel ist in Sicht. Ich schlendere. Halte hier und da an Bildstöckchen an, die den Weg säumen. Kindheitserinnerung.
Kindheitserinnerungen soll es schließlich noch mehr geben an diesem Abend: als ich auf dem Balkon meiner Unterkunft (spontan vor Ort angefragt, sehr sauber, sehr freundlich) sitze, fangen die Glocken an zu läuten. Laut. Lang. Fast wie in der Wallfahrtskirche in meinem Heimatort… Ich genieße den Moment, bin glücklich und dankbar, hier zu sein. Ein bisschen Wehmut gesellt sich zum Gefühlscocktail: schon morgen wartet die letzte Etappe auf mich…
Etappe 5:
Drežnica >> Tolmin
25 km inkl. kleiner Abendrunde im Ort || 800 hm ↥ || 1.200 hm ↧
Übernachtung: Hostel Hildegarden (Schlafsaal, Gemeinschaftsbad, Frühstück)
Ich mache es mir einfach und beginne den Etappenabriss mit den Worten, die ich in meinem Notizbuch von unterwegs finde:
Kurz nach sieben Uhr hole ich mein Lunchpaket ab (DANKE, liebe Monika! Das war definitiv das am liebevollsten belegte Brot der ganzen Tour. 🙂 ), trinke einen Becher Kaffee und bezahle meine Übernachtung. In der Morgenfrische gehe ich los, aus dem Ort hinaus, immer aufwärts. Ich gehe flott, um möglichst weit zu kommen, ehe die Sonne über den Berg schaut.
Der Weg ist gut zu gehen, doch das Ansteigen strengt an. Mit etlichen kleinen Pausen und Frühstück unterwegs komme ich an der “Italienischen Kapelle” und damit dem höchsten Punkt für heute an. Pause – und kurzer Schnack mit einer Schnellwanderin, die ich schon gestern mit ihrem Minirucksack gesehen habe. Die Aufklärung dazu: sie hat Gepäcktransport gebucht. 😉
In Ruhe gehe ich über die an die Kapelle angrenzende Wiese, hinein in den Wald und von nun an überwiegend bergab.
Ich fange an, ernsthaft darüber nachzudenken, erst morgen ins Tal abzusteigen und heute nochmal am Berg zu nächtigen. Am Schild “100 m. Koča” habe ich mich entschlossen: Ich werde auf der Koča na planini Kuhinja bleiben. Denn der Gedanke an Abschied vom Berg gefällt mir nicht. Jedenfalls noch nicht heute.
Ich stapfe an friedlich grasenden Kühen vorbei, beobachte die immer tiefer und tiefer vor dem Berg vorbeiziehenden Wolken und bin irgendwie ganz schön berührt – von dieser Macht und zugleich Zerbrechlichkeit der Natur einerseits und diesem unglaublich glücklichen Gefühl ob des Zurückseins in den Bergen andererseits. ♡♡♡
Wenn ich heute schon so viel von Gefühl rede, ist es vermutlich richtig, dass ich schließlich weiter auf meinen Bauch höre, auch wenn der eine erneute Planänderung ankündigt: nach rund einer Stunde auf der Terrasse der Hütte merke ich, dass ich mich hier nicht so wohl fühle, wie ich es mir gewünscht hatte. So verlockend der Gedanke an “oben übernachten” ist, so sehr zweifle ich daran, dass das hier meiner Vorstellung entsprechen wird. Ich bezahle meinen Kaffee und erkläre freundlich, dass ich mich umentschieden habe und nun doch ins Tal gehe.
Insgesamt bedeutet diese Entscheidung rund 1.200 Höhenmeter bergab. Höhenmeter, auf denen ich mich langsam und im wörtlichsten Sinne Schritt für Schritt von den Bergen verabschiede. Der Weg führt über Wiesen, an einzelnen Häusern, Gehöften und Scheunen vorbei, durch Wald und vor allem durch über einen ganzen Abschnitt hinweg recht matschiges Gelände. Ich bin froh, dass ich es schaffe, nicht mit Sack und Pack zu fallen. (Es sieht mir stark nach Aufräumarbeiten im Wald aus. Ich vermute, dass das nicht der Normalzustand ist.)
Als ich in einer Kehre den Wald, der nur selten einen Blick hinaus freigibt, verlasse und dem Schild “Viewpoint” folge, liegt es vor mir: das Zieltal – samt Soča.
Die Gefühlslage ist durchmischt. Am Campingplatz Kamp Gabrje gehe ich zügig vorbei. Zu viele Menschen, zu viel Trubel nach den ruhig-entspannten Tagen auf dem Trail. Als Tolmin in Sichtweite ist, schalte ich noch einen Gang runter. Ich trödle durch die Wiesen und Felder. Atme tief durch. Geschafft: 106,5 Kilometer, rund 2.800 Höhenmeter hoch und rund 3.000 runter liegen hinter mir.
Am Ende wird alles gut…
Manchmal sollen die Dinge einfach so sein! Mein Hostel erweist sich als gemütlicher, sauberer und netter Glücksgriff. Anstatt zu beweinen, dass ich nicht mehr oben am Berg bin, wartet ein wunderbarer Abend auf mich: Andrea aus dem Allgäu kommt kurz nach mir an. Ebenfalls vom AAT. Am Morgen sind wir uns schon begegnet. Nur kurz grüßend. Es soll so sein, dass wir uns wiedersehen. Zum Essen, Belohnungswein und stundenlangem Tratsch.
DANKE, liebe Andrea, für diesen Tourabschluss, den ich mir nicht besser hätte wünschen können!
Fazit: Ich bin den AAT Anfang Juni gegangen. Als die Hütten zum Teil gerade erst aufgemacht hatten und als ich die Berge noch (so gut wie) für mich hatte. Und damit auch all die unfassbar tollen Ausblicke und Entdeckungen am Wegesrand. Grüntöne in allen nur denkbaren Nuancen. Kontraste. Gerüche und eine Geräuschkulisse, die mal vom Rauschen des Flusses und mal vom Zirpen und Summen im kniehohen Gras dominiert war. Vor allem aber eines: Ruhe. Wer mit dem AAT liebäugelt, dem kann ich nur empfehlen: macht es!
Schließen möchte ich mit einem Zitat, das mir unterwegs immer wieder durch den Kopf ging:
“Rennt” den Alpe-Adria-Trail
lebedraussen.de
nicht durch […]!
>> Tipp zur Inspiration und Vorbereitung:
Bianca war mit Rucksack und Zelt auf dem AAT unterwegs.
Bianca von lebedraussen.de (DANKE, liebe Bianca, für Deine Verwendungserlaubnis fürs Zitat!) fasst genauso einfach wie in meinen Augen absolut richtig zusammen, was auch ich Euch generell, aber speziell nun für den AAT mit auf den Weg geben möchte. Die Landschaft ist so unfassbar schön und bietet so viele Möglichkeiten für individuelle Momente, Erlebnisse und Erfahrungen. Nehmt Euch Zeit hierfür, ggf. auch ein bis zwei Tage mehr, genießt, und macht aus Eurem Trail echte Kopffreitage! Es lohnt sich.
Ein paar Infos rund um den Alpe-Adria-Trail (AAT) in Slowenien:
Der AAT führt auf rund 750 Kilometern von Österreich über Slowenien nach Italien. Die vier offiziellen Tagesetappen Nr. 23 bis Nr. 26 verlaufen von Kranjska Gora nach Tolmin in Slowenien. Die davor und danach anschließenden Etappen führen über die Landesgrenze.
Man kann Slowenien prima mit dem Zug erreichen. In meinem Fall heißt das für die Anreise: mit dem Nachtzug ab Hamburg nach Wels/Österreich, weiter nach Villach und ab dort mit dem vorgebuchten Taxi nach Kranjska Gora. (Das habe ich so gewählt, weil ich an meine Wander- noch eine Urlaubswoche mit einer Freundin angehängt habe und der Koffer hierfür noch ein Stückchen weitertransportiert werden musste.)
Ab dem Zielort Tolmin ging es für mich weiter nach Bled. Der Busbahnhof in Tolmin liegt zentral im Ort; bis zum Bahnhof Most na Soči, von dem aus man dann wieder per Zug weiterkommt, dauert die Fahrt rund zehn Minuten. Tickets kauft man am besten und entspannt direkt im Bus bzw. am Bahnhofsschalter.
Tipp: Ehe man selbst umständlich nach Verbindungen sucht, fragt höflich in Eurer Unterkunft! Die Leute vor Ort kennen sich aus und ich habe sie allesamt als sehr, sehr hilfsbereit kennengelernt.
Meine Übernachtung habe ich zum ersten Mal nicht komplett vorgebucht. Fest stand die Hütte Erjavčeva koča für die erste und das Camp Korita für die zweite Nacht. Ab da wollte ich je nach körperlicher Verfassung entscheiden, wie ich weitergehe, und mir Abstecher offenhalten. Nach meiner Erfahrung ist es außerhalb der Hochsaison kein Problem, vor Ort ein Zimmer zu bekommen. Ich habe mich untertags meist ein bisschen online orientiert, welche Möglichkeiten ich am jeweiligen Zielort habe, und dann direkt vor Ort angefragt.
HINWEIS: Es gibt auch zwischen den offiziellen Etappenzielen Unterkünfte. Dies war mir im Vorfeld nicht klar und auch eine Schnellrecherche unterwegs ließ das nicht erahnen. Immer wieder jedoch kam ich, zum Beispiel auf dem Abschnitt zwischen Camp Korita (offiziell: Trenta) und Bovec sowie nach meinem letzten Abstieg und auf dem Weg nach Tolmin, an Schildern vorbei, die auf Apartments hinwiesen.
Weder die Trinkwasserversorgung noch die sonstige Verpflegung ist problematisch auf dem slowenischen Teil des AAT. Getränke kann man auf Hütten (wo man morgens und abends gut versorgt wird) und in Camps erwerben. Meine Wasserflaschen habe ich auch mit Leitungswasser aufgefüllt. Fürs Frühstück und Abendbrot in Camps empfehle ich, entweder eine kleine Notration im Rucksack zu haben (Ich hatte diesmal zum Frühstück flach verpackte Porridge- und zum Abendessen Couscous-Päckchen mit, die nur mit heißem Wasser aufzugießen sind.) oder unterwegs einzukaufen. Das geht auf meinen Etappen gut in Bovec und mit kleinen Schlenkern auch in anderen Orten.
Auch Hofläden und Käsereien sind ausgeschildert und es lohnt auf jeden Fall, die regionale Küche vor Ort zu probieren.
Wer mehr Zeit mitbringt und mit dem Gedanken spielt, beispielsweise mal wieder zu klettern oder einen Wildwasserkurs zu machen, kann das prima mit dem AAT kombinieren. Das Soča-Tal ist ein Traum für Outdoorler und es gibt zahlreiche Angebote für Kurse, Schnuppereinheiten und Unterbringung. Und wenn man schon mal dort ist…
Ich finde es grundsätzlich schwierig, allgemein gültige Aussagen zum Anspruch einer Tour zu machen. Eigene körperliche und mentale Verfassung, Temperatur, An- und Abstiege, das Rucksackgewicht – so vieles spielt in dieses Gesamtpaket mit rein. Meine persönliche Erfahrung: ich hatte auf Grund meines fehlenden Trainings hinsichtlich der Höhe etwas Bedenken und damit zusammenhängend auch mit den Etappenlängen. Für mich waren diese jedoch allesamt gut zu schaffen, bei sommerlich-warmen Temperaturen, teilweise drückend-schwülem Waldklima und mit (das könnt Ihr erahnen 😉 ) wirklich vielen Photostopps und kleinen Trinkpausen.
Auch die Wegbeschaffenheit (>> Eindruck siehe Bilder unten) trägt zu der großen Abwechslung bei, die den AAT in Slowenien kennzeichnet. Ordentliche Wanderstiefel mit Profil, in denen man über den Knöchel hinweg guten Halt hat, sind meiner Meinung nach ein Muss. Es geht teils steil bergab, teils durch nass-rutschiges Gelände, über Schotter- und Waldwege, wenige Abschnitte über Asphalt, vor allem der Soča entlang viel über Stein und Wurzelwerk. Kurz: Du findest hier nahezu alle denkbaren Bodenbeschaffenheiten und Bedingungen, die oftmals eine hohe Konzentration erfordern.
*) Die hier angegebenen Kilometer sind meine tatsächlich gegangenen. Durch Abstecher unterwegs und abendliche Spaziergänge durch die kleinen Orte weichen diese von den reinen Etappenkilometern, wie sie u.a. in Wanderführern angegeben sind, ab. Die Höhenmeter sind Circaangaben für die grobe Orientierung in Sachen Anspruch, teils verifiziert durch das eigene GPS, teils übernommen aus Angaben in Wanderführern. Letzteres gilt für die Etappen, die ich so gegangen bin, wie sie z.B. im Rother Wanderführer empfohlen werden.
2 Responses
Hach ja, liebe Andrea. Wie du sagtest, man bekommt wirklich Lust, dort einmal zu Wandern. Wäre absolut ein Ziel für uns? und die Unterkünfte genau mein Ding. Danke dir für diesen kurzweiligen spannenden Bericht, der einen kurz entführt auf den Trail. Man denkt, dass man mitläuft. ??
Liebe Eva Maria,
DANKE für Deine Worte. 🙂 🙂 🙂
Ja, ich habe unterwegs tatsächlich immer mal wieder an Euch gedacht. Ein supertolles Ziel, für jeden Anspruch. Sag Bescheid, wenn Ihr weitere Infos braucht! Ich habe da ja einiges gesammelt. 😉