Der Plan: Von Mittag bis Mittag raus. Einfach nur gehen, draußen schlafen, den Kaffee am Morgen vor dem Zelt genießen. Ich entscheide mich für Süddänemark und wähle eine Rundwanderung, die überwiegend auf dem Qualitätswanderweg Gendarmstien verläuft.
Wie oft bin ich, als ich in der deutsch-dänischen Grenzregion lebte, hier unterwegs gewesen! Eine kleine Feierabendrunde auf dem Weg nach Hause. Die eine oder andere Tagestour mit Freunden und Familie. Dazu etliche Abschnitte, die ich aus der Zeit erinnere, in der ich für die Tourismusdestination Sønderjylland tätig war und deutsche Journalisten auf den Weg und seine Natur- und Kulturhighlights aufmerksam machte. Doch nie bin ich den Gendarmstien am Stück gegangen und nie habe ich auf einem der ausgewiesenen Übernachtungsplätze geschlafen. Es ist an der Zeit, dies zu ändern.
Der Wunsch nach Zelten mit Weitblick
Und es gibt noch einen Grund für den Gendarmstien und die Strecke, die um die Halbinsel Broager führt: Seit meiner allerersten kleinen Seekajaktour zwischen Flensburger Förde und Alsensund möchte ich auf dem Lagerplatz Skeldekobbel mein Zelt aufschlagen. Die Tour ist 14 Jahre her und ich liebäugle noch immer jedes Mal, wenn ich an der Ostküste von Broager vorbeipaddle, mit diesem Platz. Der liegt hoch oben auf der Steilküste, umgeben von luftigem Buchenwald und mit Meerblick aus erster Reihe.
Als ich ziemlich genau gegen zwölf Uhr mittags den Rucksack schultere und in Egernsund, kurz vor der Marina Minde, losgehen möchte, öffnet der Himmel seine Schleusen. Nix wie zurück ins Auto! Diesen Schauer warte ich noch ab; nach ihm sieht das Wetter sehr brauchbar aus und wird mich bis kurz vor Ende meiner Tour nicht enttäuschen.
Satt pinke Stockrosen am Wegesrand. Wasserfarben, die je nach Lichteinfall zwischen leuchtendem Türkis und tief dunklem Blau wechseln. Ziegelsteinbruch auf den Stränden, der von der langen Tradition der Ziegelbrennerei in der Region zeugt. Und schon bald nur noch ich auf dem Weg: Kurz hinter dem Anleger der Fahrradfähre in Brunsnæs überhole ich zwei Wanderinnen mit Gepäck. Dann treffe ich für den Rest des Nachmittags niemanden mehr.
Blumenfelder, Wind und Strände zum Verweilen
Ich genieße den Wind, der mit sechs Beaufort durch meine Haare saust und die Förde mit Kräuselwassermustern versieht. Ich genieße eine frühe erste Pause am Shelterplatz südlich des Ortes Broager. Wie idyllisch der liegt! Nur einen Schlenker abseits des Gendarmstien, mit Sitzgruppe, Frischwasser, Feuerstelle, Blick ins Grüne und Toilettenhäuschen in sicherem Abstand zum Shelter. Überhaupt gibt es entlang des Weges ausreichend Shelter- und Zeltplätze, was das Unterwegssein einfach macht und das #kopffrei-Gefühl verstärkt.
Mehrmals führt der Weg etwas abseits des Wassers entlang. Roter Mohn und weiß-gelbe Kamille säumen die Ränder von Feldern und lassen mich immer wieder die Kamera zücken. Der Kontrast zwischen Himmel, Wasser und Farben an Land ist zauberhaft schön. Kleine Blumenfelder sorgen für noch mehr Bunt und die Besitzer laden mit kleinen Schildern zum Pflücken ein. An den Stränden indes wechseln sich feiner Sand, rundgeschliffene Steine und Steilküsten ab. Die Versuchung, zu verweilen, ist groß. Doch ich habe ja ein Ziel für den Abend …
Auf dem Weg zu diesem Ziel passiere ich die Südspitze von Broager. Erinnerungen werden wach: Hier haben wir früher gerne Pause gemacht, wenn wir mit den Kajaks die Förde gequert und die dänische Seite erreicht hatten. Erinnerungen mischen sich mit neuen Eindrücken. Ich sehe Gewohntes von Landseite aus mit neuen Augen und bin einmal mehr fasziniert davon, wie eine andere Perspektive auf Bekanntes die neuen mit alten Bildern verwebt.
Meine Gedanken fließen vor sich hin und mischen sich mit einem wohligen Empfinden: Ich fühle mich zuhause. Hier draußen. Zwischen Wasser und Land, zwischen Norden und Süden und zwischen dem, was wohl vertraut ist, und dem, was ich heute neu erkunden darf.
Die Liebe zu Steinen und ein Liebestunnel
Ich erinnere auch die Windräder von Kragesand, die uns Paddlern als Landmark zur Orientierung dienen. Nun wandere ich recht dicht an ihnen vorbei. Durch den sogenannten Liebestunnel. „Liebe unter Düsenfliegern”, denke ich zum vehementen Surren der Windräder und grinse in mich hinein. Mehr ruft dieser lauschige Gang nicht in mir hervor und führt zum Glück schon bald wieder an den Strand.
Die Uferkante ist übersät mit Steinen verschiedenster Größen. Wo sie wohl herkommen mögen? Wie sie geworden sind? Wie lange sie schon hier liegen? Ich frage mich, ob meine Faszination für Steine mit Steinbruchbesuchen und leidenschaftlichem Fossilienklopfen in meiner Kindheit auf der Schwäbischen Alb zu tun hat. Ihre Formen, ihre Farben, ihre Haptik. Schon immer haben mich Steine, Felsen und karge Landschaften begeistert. Auch wenn ich mir jetzt so gegen Abend und kurz vor Etappenende doch wünsche, ich müsste mein Hab und Gut im Rucksack nicht über eiszeitliche Relikte balancieren …
Zwei Wanderer mit ebenfalls großen Rucksäcken kommen mir entgegen. „Oje! Mein Übernachtungsplatz wird doch nicht belegt sein”, huscht es mir durch den Kopf. Egal! Ich gehe weiter und lasse den Blick immer wieder nach rechts über die weite Wasserfläche schweifen. Ehe es in den Wald hinein geht, nicken mir links des Weges Sonnenblumen zu. Vor mir flattert ein Schmetterling durch die Luft. Während sich der Wind schon merklich gelegt hat.
Leiser und leiser wird das Rauschen in den Baumkronen über mir, als ich mein kleines Zelt aufbaue. Ein Stück weiter hat sich eine Familie für die Nacht eingerichtet; der Vater versucht sich am Feuermachen. Mehr bekomme ich nicht mit von ihnen. Fast fühlt es sich so an, als hätte ich meinen Traumplatz für mich.
Ganz vereinzelt ziehen Segelboote durch mein Panorama. Ein Jogger und zwei Radfahrer kommen noch vorbei. Das war’s, an einem Hochsommerabend an einem über die Jahre immer beliebter gewordenen Wanderweg. Abendstille in der Hauptsaison – das gefällt mir ausgesprochen gut.
Klippen am Morgen
Es ist 6.11 Uhr, als ich am nächsten Morgen auf die Uhr schaue. Wieder einmal habe ich so gut geschlafen im Draußen, dass die Sonne vor mir aufgestanden ist. Ihr zartes Leuchten lässt alles um mich herum fein und morgenfrisch erscheinen. Das Wasser vor mir ist spiegelblank. Mein Kaffeewasser im Kocher blubbert. Über die Steilküstenkante vor mir hinweg schaue ich auf die Küstenlinie von Kegnæs. Wahnsinn, dass es schon vier Jahre her ist, seit ich dort auf meiner Tour rund um Alsen gepaddelt bin …!
Gegen acht Uhr gehe ich los. Am Campingplatz Broager Strand jongliert eine junge Frau ihren Kaffeebecher runter Richtung Wasserkante. Ein paar Stellplätze weiter kippt eine schon etwas ältere Dame Kannenreste schwungvoll vor den Wohnwagen. Morgenroutinen, Urlaub, Entspannung – und ich gehe weiter. Steil nach oben. Ein paar Klippen warten auf mich.
Nachdem ich den nächsten Campingplatz, Gammelmark Strand Camping, passiert habe, werde ich aufgehalten: Eine Schwanenfamilie hat den schmalen Streifen zwischen eingezäunter Weide und Wasser eingenommen. Hm … Und nun? Ich warte, beobachte die Eltern und wähle schließlich den Weg über die Weide. So, wie eine andere Solowanderin. Und im Unterschied zu zwei mir folgenden Damen, die ohne zu zögern zwischen den drei grauen Jungschwänen und Mama und Papa hindurch stapfen. Wie sinnbildlich für unterschiedliche Lösungsansätze …!
Regen am Ende und neue Pläne
Am Strand von Vemmingbund trödle ich herum. Hier verlasse ich den Gendarmstien, um wieder auf die westliche Seite von Broager zu kommen. Ich folge ein Stück dem ausgeschilderten Radweg Richtung Smøl, verpasse meinen ausgeguckten Abzweiger zum nördlichen Teil des Weges, der ums Nybøl Nor führt, und beschere mir ein ordentliches Stück Asphalt unter den Füßen. Als kleine Wiedergutmachung gibt’s dänischen Kleinortcharme.
Wie froh bin ich, als ich im Wald Skoldsbøl Skov und damit wieder auf weicheren Wegen ankomme! Am Ende des Waldes liegt ein weiterer freier Übernachtungsplatz. Den kenne ich von früheren Touren. Hier richte ich mich nochmal für eine Pause ein. Die Sonne scheint und wärmt.
Ich beobachte eine fies-dunkle Regenfront, die über das nördliche Noor hinweg zieht. „Glück gehabt!”, denke ich in diesem Moment. Im nächsten spüre ich einen kühlen Luftzug, der nicht zur Sommer-Sonnen-Lage auf meiner Seite der Bucht passt. Vorsorglich packe ich zusammen, ziehe die Regenjacke über und hülle meinen Rucksack in sein Mäntelchen. Dann geht’s los.
Starkregen begleitet mich nach Egernsund. Unter der Klappbrücke wettere ich ab. So lange, dass aus den geplanten 24 Stunden #kopffrei-Zeit eben 25 werden. Dafür spaziere ich im Nachregenlicht und nun wieder auf dem Gendarmstien durch Egernsund, noch einmal am Wasser entlang und zurück zum Auto. Entspannte 43 Kilometer sind es geworden, zwischen Mittag und Mittag. Und noch viel wichtiger: Ich habe Eindrücke und neue Erinnerungsmomente gesammelt und fahre glücklich und mit dem festen Vorhaben, endlich den gesamten Gendarmstien zu gehen, nach Hause.
Info & Tipps:
Der Gendarmstien ist ein 84 Kilometer langer historischer Wanderweg, der zwischen Padborg an der deutsch-dänischen Grenze bis nach Skovby auf der Insel Alsen (dänisch: Als) verläuft. Er ist als europäischer Qualitätswanderweg zertifiziert und gekennzeichnet durch eine hervorragende Infrastruktur samt Beschilderung, Übernachtungsplätzen und Wasserversorgung.
Der Wanderweg Gendarmstien führt entlang der dänischen Seite der Flensburger Förde über Pfade der ehemaligen Grenzgendarmerie, die Schmuggler aufspüren sollte, und an etlichen markanten Orten der deutsch-dänischen Geschichte vorbei. So lohnt beispielsweise ein Abstecher zum Geschichtszentrum Dybbøl Banke, den Düppeler Schanzen, wo 1864 die entscheidende Schlacht des Deutsch-Dänischen Krieges stattfand.
Wer nicht mit vollem Gepäck und eigenem Zelt losziehen möchte, kann für die offiziell fünf Etappen des Gendarmstien Pauschalangebote inklusive Gepäcktransport und Übernachtung in festen Unterkünften buchen.
Weitere Infos zu den Etappen sowie Kartenmaterial gibt es bei der Touristinformation Visit Sønderborg, in der Perlegade 50, mitten in der Fußgängerzone von Sønderborg.
Meine Etappen:
Tag 1:
Egernsund, Parkplatz Lågmajvej > Skeldekobbel
(22,6 km ll 286 m ↥ ll 292 m ↧)
Tag 2:
Skeldekobbel > Vemmingbund > Skoldsbøl > Skoldsbøl Skov > Egernsund, Parkplatz Lågmajvej
(20,7 km ll 249 m ↥ ll 251 m ↧)
Die Strecke ist abwechslungsreich, sowohl hinsichtlich der Ausblicke als auch in Bezug auf den Untergrund. Es gibt Waldwege, steinige und sandige Strandabschnitte, etwas Asphalt (am zweiten Tag mehr, da der Weg vom Gendarmstien abweicht), Schotterfahrwege und morastig-weiche Pfade.