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Alleine oder einfach nur “Zeit für mich”?

Während ich vor meinen Zelt sitze und den Wellen zusehe, die im milchigen Abendlicht vor mir über die Strandkante rollen, denke ich etwas aktiver über die Frage “Warum bin ich eigentlich so gerne alleine unterwegs?” nach.

Bedeutet “alleine unterwegs” automatisch “ich bin alleine”? Für mich ganz klar: nein. Ich kann mit bestem Gewissen sagen, dass ich mich zwar situationsbedingt durchaus schon mal alleingelassen gefühlt habe in meinem Leben, aber nie alleine oder gar einsam. Da waren und sind immer Menschen um mich herum, die mir wichtig sind. Eltern, Freunde, neue Bekannte, die dabei sind, zu Freunden zu werden. Menschen, mit denen man das Dach über dem Kopf teilt sowie freudige und traurige Momente oder Urlaube. Menschen, die man anruft, wenn die Welt mal wieder vor dem scheinbaren Zusammenbruch steht oder die, die auch die größten Flausen noch mit einem entspannten “Warum nicht?” quittieren.

Ich habe das große Glück, dass all diese Menschen um mich herum akzeptieren, dass ich bewusste Alleinezeit brauche. Ob sie es immer verstehen – das sei dahingestellt. Doch an dieser Stelle mal ein Hoch auf Euch alle, die Ihr mich teilweise schon wirklich, wirklich lange begleitet. DANKE fürs Dasein, auch wenn ich mich manchmal zurückziehe. DANKE fürs ab und an mal kritisch Nachfragen, wenn ich von meinen Plänen erzähle. Und DANKE fürs manchmal auch gar nicht Kommentieren, obwohl Euch das – da bin ich mir in ein paar Fällen sehr sicher – oft schwerfällt. Dazu nur soviel: ich weiß das; wir müssen nicht darüber reden – solange es für Euch okay ist.

Schon immer war mir das Draußensein wichtig. Früher unbewusster als heute. Doch immer schon waren da diese Faszination und der Respekt im Angesicht von Naturschönheit und -gewalt. Gerade Respekt ist ein wichtiger Begleiter – im Übrigen nicht nur da draußen in der Natur.

Ein wichtiger Punkt meiner Draußenliebe: hier ist’s ehrlich. Falsch, verlogen, berechnend gibt es hier nicht. Natur, Wind und Wetter geben Weg und Rhythmus vor. Sie bestimmen, ich treffe meine Entscheidungen nach ihren Launen. – – – Und wie ich das schreibe, denke ich: Ja, das sind die einzigen Launen, nach denen ich mich dauerhaft auch richten mag. Weil sie eben einfach sind, ohne Hintergedanken und ohne falsche Motivation. So entsteht ein Miteinander, das fair ist. (Okay, nicht immer: wenn pünktlich zum Wochenende Wind der Stärke sieben bis acht Beaufort aufzieht, was das Ende jeder Paddelplanung bedeutet, und ebenso pünktlich zum Beginn der Arbeitswoche wieder verschwindet, dann finde ich das nicht fair. Das darfst Du ruhig auch mal wissen, liebe Natur!)

Das faire Miteinander bedeutet auch, sich regelmäßig neu einzustellen und zu entscheiden: kann ich los? Ändere ich den Kurs? Fahre ich einen Tag eher zurück, weil Gewitter da draußen nicht nur kein Vergnügen ist sondern reelle Gefahr bedeutet? Gerade in Situationen, in denen witterungsbedingt nicht eitel Sonnenschein vorherrscht, sind Zweitmeinungen toll und Gruppenentscheidungen haben ihre Vorteile. Bei gleichzeitigem Knatschpotenzial: irgendwer weiß es doch meistens besser, Erfahrung hin oder her – und schwupps sind wir wieder bei Hierarchie, Alltag, falscher Motivation. Warum mich das stört? Weil im Einfluss der Naturgewalten für mich nur eines zählt: Sicherheit. Sie geht vor, auf Solo- wie auf Gruppentouren; Eitelkeiten und falscher Ehrgeiz haben hier draußen keinen Platz. Das hat auch in Gruppen, mit denen ich unterwegs war, schon für bittere Tränen bei längst Erwachsenen geführt, zu tagelangem Schweigen und Gezeter. Das sichere Ende von jeglichem Kopffrei. Und auch wenn ich zwischendurch gerne mit alten und tourbewährten Bekannten unterwegs bin und mich ebenso gerne auch mal in neue Gesellschaft begebe: gerade in solchen Knatschmomenten erinnere ich dann wieder, welchen Wert das Alleineunterwegssein doch hat.

Alleine heißt nicht zwangsläufig einsam. Alleine heißt für mich: “Zeit für mich”. Abschalten vom Alltag, weil oben genannte Faktoren meine ganze Aufmerksamkeit verlangen. Weil Abläufe mehr Kraft und Zeit erfordern als mit Hilfe der Gruppe. (Ein voll beladenes Kajak hieve ich nicht einfach mal eben alleine aus dem Wasser; das ist doch etwas umständlicher.) Und weil nur hier Situationen entstehen, in denen ich ohne Ablenkung ganz bei mir bin. So wie jetzt, wo sich die Sonne Stück für Stück hinter den Horizont schiebt.

Für mich ist das wertvoll und trägt dazu bei, dass ich an die Wände meiner Komfortblase boxe. Hatte ich heute Mittag noch erwartet, dass ich mich an diesem Abend mit etwas mulmigem Gefühl schlafen lege, weil ich zum allerersten Mal alleine hier draußen übernachte, verschwende ich daran jetzt keinen nennenswerten Gedanken mehr. Ich habe mich durch Wind und Wellen gekämpft, wie ich es alleine nicht vorhatte, dennoch in einem Maße, das ich bezüglich der mich zu erwartenden Bedingungen auf Solotouren als “paddelbare Reserve nach oben” bezeichnen möchte. Der Paddeltag war länger als geplant, die Brandung machte das Aussteigen am ursprünglich vorgesehenen Platz unmöglich.
Also: zusätzlicher Nervenkitzel durch das Finden einer Stelle, die
a) geeignet ist, um mein Carbonboot heile an Land zu bringen und
b) doch so wenig einsehbar ist, dass ich mein Zelt guten Gewissens aufbauen kann.

Ich bin froh, als ich an Land bin. Hier ist weder Raum für mulmige Gefühle noch bleibt jetzt Zeit, um mir heute noch irgendwelche Gedanken über Dinge zu machen, die über das im Moment Nötige hinausgehen. Boot ins Gras manövrieren und ausladen. Zelt aufbauen. Trockene Sachen anziehen. Einrichten. Essen. Und dann bei einem Becher Rotwein zulassen, dass sich ein klein wenig dieses gute Gefühl von “ich habe es geschafft” breitmacht. Körpereigene Belohnung durch Glück nach Anstrengung.

Ein bisschen anders hatte ich mir genau diesen Abend zwar vorgestellt. Schließlich läutet er, wie erwähnt, meine allererste Alleineübernachtung da draußen ein. Ich wollte wissen, wie es sich anfühlt. An einem Ort, der mir recht sicher erscheint; in einer Region, die ich gut kenne. Mit eben erst mal einer Nacht, in der ich herausfinde, ob es künftig mehr davon geben wird. Das jedenfalls hoffe ich noch immer, heutige Umstände hin oder her. Das Kartenmaterial für die nächsten Touren liegt schon bereit. ?

Nachtrag:
Das Miniexperiment ist geglückt. Auch wenn die Nacht an meinem Notplatz kurz war: Ich habe den Wecker auf fünf Uhr gestellt und saß um sechs Uhr im Boot. Die Wasserkante war über Nacht auf bis kurz vor meinem Zeltboden gestiegen, während die Böen etwas sanfter geworden sind.

Das nutze ich aus, um der kleinen Wellenhölle vor dem angekündigten erneuten Auffrischen des Windes zu entkommen. Nach etwa eineinhalb Stunden komme ich in deutlich ruhigerem Gewässer an. Um acht Uhr mache ich Frühstückspause. Entspannt, gemütlich und so windgeschützt, dass mir mein Erlebnis des Vorabends schon ganz weit weg erscheint. Ich lege mich in den Sand, beobachte kleine weiße Fitzelwolken und bin glücklich.

Nach bis dato zwölf Jahren Kajakfahren und Tourenpaddeln bin ich an diesem Wochenende einen nächsten Schritt gegangen. Der “Morgen danach” ist noch mehr kopffrei als nach all den bislang erlebten Zeltnächten. Keine Frage: davon wird es künftig mehr geben!

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2 Responses

  1. Liebe Andrea,

    das war sicher ein sehr schönes und “mutiges” Erlebnis. Das Gefühl, das du in der Natur erlebst, spürst kann ich sehr gut nachvollziehen. Auch finde ich es schön, wenn man sich selbst genug ist. Das zeigt, dass man sich nicht mit unnützen Dingen ablenken muss, um sein Leben zu ertragen.

    Mit Sicherheit ist es für dein Umfeld nicht immer leicht und nachvollziehbar dich alleine ziehen zu lassen. Dennoch gut, dass du es trotzdem machst und dir die Zeit für dich nimmst.

    Ich wünsche dir von ? noch viele dieser Momente.

    Liebe Grüße,
    Claudia

    1. Liebe Claudia,

      VIELEN DANK für Deine herzlichen Worte. ☺️

      Ja, ich denke schon, dass es viel wert und auch durchaus hilfreich ist, wenn man gut alleine sein kann. Und sich bewusst(e) Zeit für und mit sich selbst nimmt. Im Wechsel mit Momenten, die man mit lieben Menschen teilt.

      Dazu kommt, neben vielem Anderen, dass man sich – oftmals unbewusst – da draußen auch Herausforderungen stellt, die einen auch in anderen Lebenslagen weiterbringen. Es geht auf so positive Art immer weiter, selbst (oder manchmal gerade) dann, wenn es mal nicht so läuft, wie geplant. ?

      Auf rundum viiiiiele weitere tolle Erlebnisse, Entdeckungen und Überraschungen, mit Freude, Respekt und Neugier! ?

      Liebe Grüße

      Andrea

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