Die Füße auf Schiefer, der Kopf nah den Wolken: So fühlt es sich an, an meinem dritten Tag auf dem Escapardenne Lee Trail im nördlichen Luxemburg. Es regnet ohne Unterbrechung. Der Himmel hängt tief und die bizarre Landschaftskulisse aus steilen Anstiegen und tiefen Tälern scheint heute nur für mich gestaltet zu sein. Ich treffe niemanden, genieße die Stille und wahre Kopffreizeit.

Zugegeben: Als sich am späten Mittag der Hunger meldet, wünsche ich mir sehr, es würde für eine Viertelstunde aufhören, zu regnen. Der Wind ist kalt. Einen überdachten Pausenplatz finde ich nicht. Also gehe ich durch. Bis zum Campingplatz in Kautenbach. Durchnässt bis auf die Haut komme ich an und fühle mich doch ziemlich gut – nach der Dusche und dem Wechsel in trockene Klamotten. Meine Gastgeber Bianca und Erik umsorgen mich und drehen die Heizung im Bistro auf. Ich bestelle eine Portion Pommes und einen Cappuccino. Fürs große Glück braucht’s in dem Moment nicht viel.
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Steiler Anstieg, weiter Blick
Bis ich so richtig begreife, was ich in meinen drei Wandertagen auf dem zum „Leading Quality Trail – Best of Europe” geadelten Escapardenne Lee Trail erlebt habe, dauert es noch ein bisschen. Es ist mein erstes Mal in Luxemburg. Bilder, die ich während meiner Planung gesehen habe, vermitteln nur einen Bruchteil dessen, was man da draußen erleben kann. Die Landschaftsform ist gleichermaßen lieblich, schroff und beruhigend. Ich wandere durch kleine Dörfer, die mich an den schwäbischen Heimatort meiner Mama zur Zeit meiner Kindheit erinnern. Mit Landwirtschaft und freundlich grüßenden Menschen. Ich gehe über schmale Waldwege. Pilzfamilien schmiegen sich auf ihnen an Wurzelwerk. Herausragende Steine erfordern meine Aufmerksamkeit.

Von Anhöhen aus überblicke ich Hänge mit Wäldern, die der Mittelgebirgslandschaft meiner alten Heimat auf der Schwäbischen Alb ähneln und doch irgendwie anders sind. Was genau sie anders macht, kann ich am ersten Tag noch nicht fassen. Die Mischung aus Vertrautheit und Irritation beschäftigt mich während meines ersten Picknicks.

Noch scheint die Sonne und ich kann anhand der Wetterprognose nur erahnen, was mich noch erwarten wird. Also genieße ich meine ersten Stunden auf dem Trail ganz besonders. Vor allem dann, wenn ich wieder einmal irgendwo oben angekommen bin. Hoch und runter geht’s nämlich ordentlich, wenngleich auf angenehme Art und Weise: Die Anstiege sind oftmals einigermaßen steil, aber nicht allzu lang. Es folgen zuverlässig Abschnitte, die Kopf und Körper entspannen lassen und meine Sinne wieder auf die Umgebung lenken.
Pilz-Quiche und Sommerwein
Da sind erste vorsichtige Anzeichen von Herbst an den Bäumen und verwunschen wirkende Wälder mit Moosen, aus denen heraus Minilandschaften erwachsen. Da sind knorrige Eichenniederwälder und schließlich die Ausblicke, die den Escapardenne Lee Trail kennzeichnen. Ich schaue auf die Schleifen des Flusses Sauer (Sûre auf Französisch) und auf die Plateaus der mir gegenüberliegenden Hügel. Sind sie es, die diese Landschaftsirritation in mir auslösen?


21,7 Kilometer und 843 Höhenmeter im Anstieg habe ich am Abend des ersten Tages auf der Uhr. Von Ettelbrück bis Bourscheid-Moulin bin ich gegangen. Wie sehr genieße ich meine Badewanne im Hotel, die herbstliche Pilz-Quiche und den leichten luxemburgischen Sommerwein im Restaurant! Es ist ungewohnt für mich, auf einer Streckenwanderung so komfortabel unterzukommen. Für diesmal ist es genau die richtige Entscheidung, weil das mit dem Wetter halt auch in Luxemburg zum Saisonende so eine Sache sein kann.

Am nächsten Morgen kommt die Regenjacke zum Einsatz. Der Schiefer unter meinen Füßen ist glatt vor Nässe. Die an Felsen wachsenden Farne strahlen trotz trüber Lichtstimmung. Ich keuche bergan. Mir wird warm. Dämpfig ist es im Wald; kühl wird es, als ich die nächste Anhöhe erreiche. Rund um den Wegpunkt „Napoleonsknäppchen” nehme ich mir dennoch die Zeit, meinen Blick mehrmals ausgiebig schweifen zu lassen: Es ist die plateauartige Form der Hügelkuppen, die mich irritiert. Das ist anders als alle Landschaftsformen, die ich sonst mit dem in Verbindung bringe, was ich hier in der Region Éislek erlebe.

Ein Flusslauf als Architekt
Ich forsche nach: Die Ardennen, durch die ich hier wandere, haben in ihrer 400 Millionen Jahre alten Geschichte einiges mitgemacht. Sie sind aus einem geologischen Prozess von Faltungen und Erosionen entstanden. Der ist ganz schön komplex und ich verstehe in Kurzfassung: Der mäandrierende Flusslauf der Sauer ist der Schelm, der für mein Gefühl der Irritation sorgt. Typischerweise findet man solche Flussläufe im flachen Gelände. Die Kombination aus einem Fluss, der sein Wasser in engen Schleifen führt, und den Anhöhen mit Plateaus oben drauf zeugt davon, dass der Fluss die Landschaft schon vor der Entstehung der heutigen Anhöhen durchflossen hat: Vor rund einer Million Jahre begann sich das Land zu heben. Der Flusslauf blieb erhalten; er grub sich sogar noch tiefer ein und wirkte so als Architekt dieser mich nun umgebenden Landschaft.

Mehr noch haben die Naturarchitekten erschaffen: Der „Finger Gottes” ist ein markant in die Höhe ragender Felsen. Schiefergrate geben dem Trail seinen Namen: Die Lee bezeichnet auf Luxemburgisch einen Felskamm. Solch beeindruckende Felskämme überschreitet man auf der zweiten und dritten Etappe des Escapardenne Lee Trails. Ich kann es kaum fassen, dass nach einem diesigen Nachmittag an meinem zweiten Tag just dann nochmal ein Funken Licht durch die Wolken blinzelt, als ich an der Molberlee ankomme. Wald zu allen Seiten. Senkrecht geschichteter Schiefer mitten auf dem Weg. In mir macht sich eine tiefe Zufriedenheit breit: Nach bis hierher knapp 23 Kilometern und gut 1.000 Höhenmeter im Anstieg ist der Moment hoch oben auf der Molberlee einer, der sich in meinem Herzen einbrennt.

Reduziertes Licht und starke Kontraste
Die nächste Seite in meinem Erinnerungsalbum füllt dann auch schon der dritte und letzte Tag auf dem 54 Kilometer langen Trail. Es ist die kürzeste Etappe und jene, für welche ich trotz völliger Durchnässung am Ende besonders dankbar bin. So bedauerlich es einerseits ist, dass die Kamera bei so hartnäckigem Dauerregen gut verpackt im Rucksack bleiben muss, so schön ist das Gehen. Kaum, dass ich in Hoscheid an die gestrige Etappe angeknüpft habe, gilt meine volle Konzentration dem Weg. Es geht bergab; der Regen zaubert Bäche auf den Weg. Ich muss gut aufpassen, um nicht auszurutschen, und bin froh, dass ich mich heute für Trailrunningschuhe mit ordentlichem Profil entschieden habe. Ich gehe zügig und nehme die Landschaft, die mir zwischenzeitlich sehr vertraut geworden ist, nochmal anders wahr.

Das reduzierte Licht lenkt den Fokus auf die weichen Formen der weiten Waldflächen um mich herum. Das Gehen in den Wäldern gibt mir eine innere Ruhe, wie ich sie lange nicht gespürt habe. Während meine Augen und meine Füße dem Weg folgen, finden meine Gedanken ihre eigenen Wege. Sie haben mich so fest im Griff, dass ich mich gänzlich von ihnen ablenken lasse: Mist! Ich habe eine Abzweigung verpasst.

Ein schneller Blick auf die Karte beruhigt: Ich gehe ein Stück weiter bergab, dann führt mich ein Verbindungsstück direkt hinüber zur Hoflee. Unter mir verschwindet ein Zug im Berg. Mir ist der Regen für einen Augenblick egal. Ich hole meine Gedanken zurück ins Hier und Jetzt: Auf genau dieser Strecke bin ich angereist. Mit dem Zug, durch Tunnel und kleine Ortschaften mit Steinhäusern hindurch. Nun habe ich dise Strecke erwandert, bin dem Flusslauf gefolgt und eingetaucht in die Kulturgeschichte der Region, für die alleine es lohnt, sich ausgiebig Zeit für den Escapardenne Lee Trail zu nehmen. Da ist mein Startort Ettelbrück, der 1944 zweimal von den alliierten Truppen befreit wurde, und da ist die Kapelle Saint-Michel im Schlindertal, in das sich einst ein lebendiges Dorf schmiegte, von welchem heute kaum mehr etwas zu erahnen ist …

Ein perfektes Saisonfinale
Die Szenerie um mich herum hat eindeutig von Spätsommer auf Herbst gewechselt. Wolken wabern fantastisch tief durch das Tälerlabyrinth. Ich fühle mich wie inmitten einer lebendigen und sich sekündlich verändernden Kunstausstellung. In ihrem Mittelpunkt stehen die Strukturen von totem und lebendigem Holz und große Spinnennetze, deren dünen Fäden dicke Regentropfen tragen.
Ich nehme die Hände zur Hilfe, um mich über ein paar rutschige Wegstellen zu manövrieren. Nein, für Ungeübte und nicht ganz schwindelfreie Wanderer ist der Escapardenne Lee Trail nichts. Wer Kontraste, Abwechslung und die Ruhe im Draußen liebt und sich gerne ein bisschen herausfordert, wird hier große Freude haben. Besonders spät im Jahr, wenn man an Tagen wie jenem meinem letzten sogar ganz alleine auf dem Trail sein kann. Ein Traum!

Für mich war die Entscheidung, das Saisonfinale auf dieses mir bis dato unbekannte Terrain zu verlegen, genau richtig. Ich strahle noch immer vor Glück, wenn ich an die intensiven Tage denke. Die Neugier auf mehr ist geweckt: Ob in der Region Éislek oder anderswo in Luxemburg – ich weiß jetzt, dass die Wanderinfrastruktur hervorragend ist und man mit öffentlichen Verkehrsmitteln prima nicht nur bis nach Luxemburg, sondern dort auch zu Einstiegen und Zubringern zu Wanderwegen reisen kann. Kostenlos.

Meine Etappen
- Ettelbrück > Bourscheid-Moulin
21,7 km • 843 hm ↥ • 845 hm ↧ - Bourscheid-Moulin > Hoscheid
23,3 km • 1.070 hm ↥ • 834 hm ↧ - Hoscheid > Kautenbach
17,2 km • 607 hm ↥ • 812 hm ↧
Die Angaben beziehen sich auf die ganzen Tage, inklusive Fotoschlenkern. Die tatsächlichen Strecken von A nach B sind etwas kürzer.

Infos & Tipps
Der Escapardenne Lee Trail:
Der Escapardenne Lee Trail ist 54 Kilometer lang und in drei Tagesetappen aufgeteilt. Er verläuft zwischen Ettelbrück und Kautenbach. Von da an geht es auf dem 106 Kilometer langen Escapardenne Éislek Trail weiter bis hinüber in die belgischen Ardennen.
Auch wenn die Tagesetappen des Escapardenne Lee Trails mit 15 bis 20 Kilometern kurz erscheinen: Die Einteilung in drei Tage ist super, wenn man sich gleichermaßen am Anspruch des Bergaufgehens wie am Genuss der Landschaft erfreuen mag.
Der Wanderweg ist als „Leading Quality Trail – Best of Europe” zertifiziert. Was ihn für mich besonders macht, sind der Anspruch und die für meine Augen und mein Gefühl ungewöhnliche Landschaftsform. Man geht speziell auf den ersten beiden Etappen recht viel bergauf. Die oftmals kurzen, steilen Anstiege wechseln sich ab mit Erholungsstrecken für Füße und Kopf. Das gefällt mir richtig gut.
Der Norden Luxemburgs ist stark land- und forstwirtschaftlich geprägt. Der Trail verläuft sehr naturnah sowie durch kleine Ortschaften mit hübschen Steingärten und reichen Gemüsegärten hindurch. Weite Strecken führen durch Wälder und über Pfade, die Konzentration erfordern. Sicheres Gehen und Freude an Wegen, die nah an Abhängen verlaufen, sind eine Grundvoraussetzung für den Escapardenne Lee Trail.
Der Trail ist keiner, der angelegt wurde, um schnellstmöglich von A nach B zu kommen. Er streift die schönsten Abschnitte der Strecke und das heißt auch, dass man schon mal den gleichen Abhang, den man eben hinuntergewandert ist, nach einem feinen Ausblick wieder hinaufstapft. Das wirkt beim ersten Mal nicht logisch, ist bei so viel Naturschönheit aber schnell und gerne mitgekauft.
Gut zu gehen ist der Escapardenne Lee Trail von April bis Oktober. Ich war zum Saisonfinale Anfang Oktober dort und kann das nur empfehlen: Wetter mit viel Variation machte meinen Weg zu einem Erlebnis mit Spätsommergefühl und mystischen Herbstmomenten. Es ist wenig bis nichts mehr los auf dem Trail und die Möglichkeit, von festen Unterkünften aus lozugehen, gibt Sicherheit, was mögliche Wetterkapriolen angeht.
Hinkommen und Rumkommen:
Luxemburg ist gut mit der Bahn erreichbar. Das Tolle: Sobald man die Grenze zu Luxemburg passiert hat, ist der ÖPNV kostenlos.
Ebenfalls großartig: Von den Bahnhöfen, die am Escapardenne Lee Trail liegen, aus gibt es Zubringerwege zum Trail sowie überhaupt zu den top ausgeschilderten Wanderwegen der Region Éislek.
Mein Tipp: Fahre von Norden her, also über Lüttich, zum Startort Ettelbrück! So kommst Du mit dem Zug die Strecke entlang, die Du später zurück nach Norden wandern wirst, und fährst durch Tunnel, in denen Du von weiter oben aus am zweiten und dritten Tag Züge verschwinden siehst!
Übernachten und genießen:
Das Cocoon Hôtel Belair in Bourscheid-Moulin ist eine prima Basis für die Etappen zwei und drei. Die Küche ist toll, der Service sympathisch und im Sommerhalbjahr entspannt man beim Sundowner direkt am Fluss, den man am dritten Tag auf der gegenüberliegenden Seite entlangwandert. Ein Shuttleservice des Hotels löst das Thema der Abholung und des Wiedereinstiegs in den Trail an der richtigen Stelle.
Mein Tipp zum Abschluss der Wanderung: Miete Dich auf dem Campingplatz Kautenbach in einem gemütlichen Holzpod oder in einer Blockhütte ein! Der Campingplatz liegt ebenfalls direkt am Fluss. Das Bistro lädt zur angemessenen Stärkung nach der Wanderung ein (Pommes und Kaffee zum Aufwärmen kann ich nur empfehlen! 😉) und im gut sortierten kleinen Shop kann man prima seine (Wander-)Vorräte für eine weitere Etappe auf dem Escapardene Éislek Trail oder für die eine oder andere Tagestour auffüllen.
Drei Tipps von mir für Dich:
- Gepäcktransport
Ich habe mir zum allerersten Mal den Luxus von Gepäcktransport mit MoveWeCarry gegönnt und kann Dir das für den Escapardenne Lee Trail nur empfehlen: Man genießt Auf- und Abstiege ohne das volle Gepäck auf dem Rücken entspannter. Man kann ebenso entspannt für unterschiedliche Wetterlagen packen und abends weiteren Luxus in Form von warmen Zimmern, Zeit in der Badewanne oder in einer Sauna und mit gutem Essen genießen. - Ein Tag in Luxemburg-Stadt
Gönn Dir einen Abschlusstag (oder zwei) in der Hauptstadt! Luxemburg-Stadt ist gerade mal eine Dreiviertelstunde mit dem Zug vom Zielort des Escapardenne Lee Trails, Kautenbach, entfernt. Die Stadt ist Europa und Gemütlichkeit, Kultur und Grün und ein paar Stunden entspanntes Herumstromern sind ein wunderbarer Ausklang einer kleinen (Wander-)Auszeit. Auch in Luxemburg-Stadt überwindet man übrigens ordentliche Höhenunterschiede, zu Fuß oder mit einem der drei städtischen Aufzüge. - Tagestouren in der Region Éislek
Das nördliche Luxemburg ist ein Paradies für Wanderer. Mit rund 200 ausgeschilderten Routen und über 1.900 Kilometern markierten Wanderwegen ist für garantiert jeden Anspruch etwas dabei. Perfekt für den Einstieg sind die 18 Éislek Pied. Das sind Rundwanderwege, die zu den Natur- und Kultur-Highlights der Region Éislek führen.
Extra-Tipp: Der Éislek Pad Hoscheid ist eine schöne Preview auf den Escapardenne Lee Trail. Auf ihm wandert man durchs Schlindertal, probiert sich auf einem Klangpfad aus und genießt das beeindruckende Gratgefühl beim Gang über die Molberlee.

Alle Links und Informationen: Stand Februar 2025.
Diese Wanderrecherche habe ich auf Einladung von Visit Luxembourg unternommen. Ich war, wie gewohnt, solo unterwegs und schreibe hier unbezahlt und unbeauftragt über meine echten Erlebnisse.
lichen DANK, liebes Team von Visit Luxembourg und Visit Éislek, für Eure Unterstützung und für tolle Treffen vor Ort, die ich mir spontan wünschte, um noch mehr über diese Wanderregion im nördlichen Luxemburg zu erfahren.